„Asoziale“ Frauen als Zwangsprostituierte für das Dritte Reich

Teil 3 der Artikelserie über KZ-Bordelle & das Dritte Reich als „größten Bordellbetreiber Europas“

Autorin: Anne S. Respondek

(Dieser Artikel ist im April 2024 in der Graswurzelrevolution erschienen.)

In den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wurden ab 1942 Bordelle gebaut, in denen männliche KZ-Häftlinge sich als Freier betätigen konnten. Diese KZ-Bordelle existierten in Mauthausen und Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz, Dachau, Neuengamme, Sachenhausen und Mittelbau-Dora. Die Frauen, die in diesen KZ-Bordellen anschaffen mussten, hatten fast alle eines gemeinsam: den schwarzen Winkel, der auf den Haftgrund der „Asozialität“ hinwies.

Aber wer oder was galt im Nationalsozialismus als „asozial“?

Dieser schwammige Begriff war auch im Dritten Reich keineswegs fest definiert. Der Rassenhygieniker Fred Dubitscher schrieb dazu in seiner „erb- und sozialbiologischen Untersuchung“: „(…) die Beschäftigung mit den Fragen der Asozialität verlangt in gleicher Weise kriminalbiologisches, sozialbiologisches, wirtschaftspolitisches, ärztlich-psychatrisches und erbbiologisches Denken und Urteilen. (…) Der Begriff ´asozial´ kennzeichnet ja doch eine seelisch-soziale Haltung in und zu der Gemeinschaft, die sich von der durchschnittlichen Haltung als abwegig im unerwünschten Sinn unterscheidet. (…) Die soziale Wertbeurteilung (also auch ´asozial´) ist ja doch primär ausschließlich Sache des Volksempfindens.“[1] Allgemein, so führte er aus, würden zur Gruppe der „Asozialen“ folgende Personen zählen: „Kriminelle, Verwahrloste, Arbeitsscheue, Bettler, Prostituierte, Rauschmittelsüchtige, Trunksüchtige, Fürsorgezöglinge, Vagabunden u. a.“[2] All diesen Menschen sei eines gemeinsam: „es handelt sich um Verhaltensweisen in Form von Handlungen oder Unterlassungen, die von der sozialen Norm abweichen und die dadurch Leiden oder Schäden verursachen.“[3]

Unterschieden wurde zwischen Menschen, die als „verwahrlost“ galten, und deren „asoziales“ Verhalten man ungünstigen äußeren Umständen zuschrieb und Menschen, deren unerwünschtes Verhalten man als ererbt auffasste. „Asoziale“ galten als Gefahr für das deutsche Volk, für den „gesunden Volkskörper“, und zwar auf biologischer, sozialer und finanzieller Ebene. In biologischer Hinsicht wurde ihnen unterstellt, sie würden ihre „Asozialität“ weitervererben und zudem durch „frühe Geschlechtsreife“ und „Triebhaftigkeit“ sehr viele (ebenfalls „asoziale“) Kinder bekommen. So würden sie das Erbgut des deutschen Volkes schädigen und „herabziehen“. Ihnen wurde vorgeworfen, durch ihr „gemeinschaftsfremdes“ Verhalten das Volk in sozialer Hinsicht zu schädigen und zudem enorme Kosten zu verursachen, z.B. durch Heim- und Gefängnisaufenthalte oder indem sie der Fürsorge zur Last fielen. „Asoziale“ sollten über Erziehungs- und Bestrafungsmaßnahmen weggesperrt und mithilfe dieser „unschädlich“ gemacht werden – aber das reichte dem NS-Staat nicht. Denn im Dritten Reich galten nicht nur körperliche und seelische Beeinträchtigungen und Krankheiten als unerwünscht. Der Begriff des „moralischen Schwachsinns“ sollte alle Personengruppen umfassen, die sich kriminell, „gemeinschaftsfremd“, sexuell „triebhaft“ oder unangepasst verhielten – und da „Asozialität“ als erblich galt, und damit auch der „moralische Schwachsinn“, wurden viele dieser so kategorisierten Personen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht.

„Asozial“ zu sein wurde somit verbiologisiert. Es wurde nicht verstanden als Ausdruck einer finanziellen und sozialen Armut, sondern als Charakter- und Erbgutdefizit. „Asozial“ war immer auch eine Fremdzuschreibung. Niemand aus der – sehr homogenen – Gruppe der als „asozial“ klassifizierten Personen bezeichnete sich selbst so.

Der Kampf gegen „Asozialität“ war immer auch ein Kampf gegen arme und prekär lebende Menschen. Die Breite der gegen sie getroffenen Maßnahmen war beachtlich. In der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ wurden 1938 über 10.000 Männer, denen „Arbeitsscheu“ vorgeworfen wurde, in KZ eingeliefert. Damit änderte sich in den KZ die Zusammensetzung der Häftlingsgruppe, „Asoziale“ stellten ab sofort die größte Häftlingskategorie. Die Verhaftung der „Arbeitsscheuen“ war vielfach von den Sozial- und Fürsorgebehörden veranlasst worden.

Die gegen „Asoziale“ getroffenen Maßnahmen waren vielfältig und zeugten von enormer Härte: Bettlerrazzien, Unterbringungen in Arbeitshäusern, Entmündigungen von Personen durch Fürsorgeämter, Unterbringungen in geschlossenen Anstalten, Einweisung in spezielle, KZ-ähnliche Lager für Fürsorgeempfänger, außerdem Schutzhaft, Sicherungsverwahrung und Vorbeugehaft, also die Inhaftnahme von Personen, bevor diese überhaupt (erneut) strafrechtlich relevant in Erscheinung traten. Konkret zur Auslöschung der unerwünschten Personengruppe sollten die Zwangssterilisierungen und die Tötungen in den KZ beitragen – denn eine Besserung, Erziehung oder Versorgung von „Asozialen“ war nie das Ziel des Nationalsozialismus gewesen. Die subproletarische Klasse, die unerwünschte prekäre Schicht, sollte komplett ausgelöscht werden.

Im Laufe des Krieges fand ein bemerkenswerter Wandel in der „Asozialen“politik statt.

Hatten zunächst männliche Bettler, „Landstreicher“, Alkoholiker und „Arbeitsverweigerer“ im Fokus gestanden, konzentrierte sich die Verfolgung im Laufe des Dritten Reiches mehr und mehr auf „asoziale Sippen“ und auf sexuell freizügige Frauen – es fand sozusagen eine Feminisierung und Sexualisierung der „Asozialen“politik statt. Denn wer oder was genau „asozial“ war – das hatte keinen Endpunkt. Der Gummibegriff ließ sich endlos dehnen, immer neu deuten und erfasste somit ständig neue Betroffenengruppen. Frauen, die sich in den Augen der Behörden „herumtrieben“, die „sexuell hemmungslos“ waren oder „sittlich tiefstehend“, wurden nun ebenfalls erfasst und durch Polizei, Gesundheitsamt und Fürsorge verfolgt. Bereits die Unterstellung sexueller Unangepasstheit reichte aus, um in den Fokus der Ämter zu geraten. Jede sexuelle Freizügigkeit, so unterstellte man den Frauen, würde unweigerlich zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu führen, dass die Frau sich prostituiere. Prostituierte waren sowieso als „Asoziale“ kategorisiert – aber nun reichte es bereits aus, unbezahlt sexuelle Kontakte zu haben. Wer in Verdacht stand, sich heimlich zu prostituieren, oder wer wechselnde Männerbekanntschaften pflegte, wer in bestimmten Lokalen schlechten Rufs allein oder mit fremden Männern verkehrte, wer ein ungeregeltes Einkommen hatte, der konnte von den Behörden als „hwG“ gelistet werden – als Person mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“. Dies galt als eine Art Vorstufe zur Prostitution und rechtfertigte bereits Maßnahmen wie Vorbeugehaft.

Die meisten der Frauen, die in den KZ-Bordellen gezwungen wurden, sich von männlichen KZ-Häftlingen sexuell missbrauchen zu lassen, waren wegen „Asozialität“ in die KZ eingeliefert worden. Ein Großteil der Frauen aus den KZ-Bordellen war also wegen ihrer Armut und ihres (vermeintlichen) Sexualverhaltens verfolgt und im KZ inhaftiert worden.

In der Häftlingsgemeinschaft standen diese „asozialen“ Frauen ganz weit unten.

Im KZ trafen verschiedene Nationalitäten, soziale Klassen und kulturelle Hintergründe aufeinander. Geschickt verstand es die NS-Führung, in den KZ verschiedene Personengruppen gegeneinander auszuspielen und so eine Solidarisierung untereinander sowie das Entstehen einer sich als „Häftlingsgemeinschaft“ verstehenden Gruppe zu verhindern. Dies gelang u.a. durch die rassistische Hierarchisierung (deutsche Häftlinge standen ganz oben in der Häftlingsordnung, ganz unten standen Juden, Sinti, Roma und Angehörige der Sowjetunion). Die Übertragung von Verwaltungsaufgaben an bestimmte Häftlinge im Austausch für Vorteile trug zur Spaltung der Häftlingsgruppen ebenso bei wie das Winkelsystem. Vor allem Grünwinklige („Kriminelle“) wurden von den anderen Häftlingen verachtet, aber auch Menschen mit schwarzen Winkeln, „Asoziale“ galten als Bodensatz der KZ-Inhaftierten. Die betroffenen Frauen waren damit doppelt stigmatisiert, als Frau und als „Gemeinschaftsfremde“ – und diese Diskriminierung ging eben nicht nur von der SS, sondern auch von den Mithäftlingen aus, denn auch in deren Sozialordnung teilte man Inhaftierte in „wertvolle“ und „minderwertige“ Mithäftlinge ein. Vor allem den schwarzwinkligen Frauen wurde vorgeworfen, ihre Inhaftierung durch ihre „moralischen Verfehlungen“ ja selbst verschuldet zu haben. Ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Randgruppe wurde also im KZ fortgeführt – und auch nach dem Ende des Nationalsozialismus distanzierten sich Gemeinschaften ehemaliger Häftlinge oft genug von den „asozialen“ ehemaligen Mithäftlingen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: die Frauen, die in den KZ-Bordellen zum anschaffen gezwungen wurden, waren Frauen, die wegen ihrer Armut und wegen (unterstellter) sexueller Unangepasstheit und Prostitution verfolgt und in KZ inhaftiert worden waren – und auch dort standen sie in der Sozialordnung ganz unten, wurden von SS und Mithäftlingen ausgegrenzt, stigmatisiert und diskriminiert.

Wie gelangten diese Frauen nun aber aus den KZ in die damals als „Sonderbauten“ bezeichneten KZ-Bordelle? Darum soll es in der nächste Folge dieser Reihe gehen.

(c) Anne S. Respondek


[1] Dubitscher, Fred, Erb- und sozialbiologische Untersuchungen, Leipzig 1942, S. 1 

[2] Ebd. S. 2

[3] Ebd.