Alltag im KZ-Bordell

Teil 4 der Artikelserie über KZ-Bordelle & das Dritte Reich als „größten Bordellbetreiber Europas“

(Dieser Text ist im September 2024 in der Graswurzelrevolution erschienen.)

Der NS-Staat überzog das ganze besetzte Europa mit einem Netzwerk von Bordellen. Gedacht waren diese für alle Arten von Männer: Wehrmachtssoldaten, SS-Männer, aber auch Eisenbahner, Polizisten, Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge. Männliche KZ-Häftlinge durften, sofern sie nicht russisch oder jüdisch waren, in den Bordellen der KZ ihre weiblichen Mitgefangenen gegen Geld sexuell missbrauchen. Die SS erhoffte sich davon eine arbeitstechnische Leistungssteigerung der männlichen KZ-Häftlinge. In den letzten vier Artikeln der Serie zu KZ-Bordellen wurden die Prostitutionspolitik des Nationalsozialismus, die Entstehung der KZ-Bordelle („Sonderbauten“ genannt), die soziale Herkunft der Frauen aus den Bordellen und ihre Selektion für diese thematisiert. In diesem Artikel soll es darum gehen, wie ihre Lebenswelten in den Bordellen in den KZ Mauthausen und Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz, Dachau, Neuengamme, Sachenhausen und Mittelbau-Dora aussahen und wie sich der Alltag in einem Konzentrationslagerbordell gestaltete.

Nach der Selektion der Frauen, die in die KZ-Bordelle verschafft werden sollten, erfolgte zunächst eine Zeit, in der diese „aufgepäppelt“ wurden, um sie für Freier attraktiver zu machen. Danach ging es „auf Transport“. Die ehemalige Zwangsprostituierte B. berichtet über diesen Transport: „Das war kein großer Transport, sondern ein Privattransport mit SS. Wir kamen in ein extra Zugabteil, es war kein Viehwaggon wie sonst. Das Abteil wurde abgeschlossen. Wir kriegten keine Handschellen. Es hieß Sonderkommando (…). Wir haben gedacht, daß wir irgendwo arbeiten müssen. Sonderkommando kann viel sein.“[1]

Einige der Frauen wussten also nicht, wohin sie gebracht würden. Andere berichten von ihrer Angst, in ein Bordell für SS-Männer zu kommen, und von der anfänglichen Erleichterung, statt sadistischer SS-Aufseher „nur“ Häftlinge sexuell bedienen zu müssen. Diese Erleichterung wich allerdings schnell dem Schrecken, den die erzwungenen Sexualkontakte mit sich brachten. Die Zeitzeugin W., die in einem KZ-Bordell prostituiert wurde, erzählt von ihrem ersten Abend: „Die beiden Aufseherinnen haben dann folgendes zu uns gesagt: Wir wären jetzt in einem Häftlingsbordell, wir hätten es gut, wir würden gut zu essen und zu trinken kriegen, und wenn wir uns fügen würden, dann würde uns nichts passieren. Das war es, was man uns gesagt hat. Und da haben wir dagesessen mit unserem Talent. Mir ist ein Stein vom Herzen gefallen, denn es war ja keine SS. Ich habe aber auch mit dem Herrgott gezürnt. Ich habe gedacht, lieber heute tot als morgen, trotz aller Versprechungen. Manche hat aufgeatmet, hat sich gesagt, lieber so, als jeden Tag Schläge und schwere Arbeit und nichts zu essen. (…) Als ich wieder gesund war und dann doch ran mußte, wollte ich nicht mehr, ich überlegte dauernd, wie geht es am besten, Schluß zu machen. Ich habe es nicht gemacht, und mußte dann das erste Mal doch einen Häftling nehmen. Bei dem habe ich mich gewehrt, dem habe ich gesagt, ich hätte eine Nagelschere, mit der würde ich ihn stechen. Wenn er mich anfasst, käme er nicht heil wieder raus.“[2]

Der Abrechnungsbogen des KZ-Bordells zeigt jedoch, dass W. noch am selben Abend 6 Häftlingsfreier bedienen musste.[3]

Insgesamt wurden mehr als 190 Frauen in den KZ-Bordellen ausgebeutet. Frauen, die namentlich bekannt sind, setzen sich zusammen aus 70% mit schwarzen Winkeln (also als „Asoziale“ klassifiziert) und 30% mit roten Winkeln – im KZ-System als „Politische“ eingeordnete, oftmals „Bettpolitische“, die also wegen „verbotenen Umgangs“ mit Zwangsarbeitern oder wegen „Rassenschande“ inhaftiert worden waren. Nur vier Frauen, die als „Berufsverbrecherinnen“ mit grünem Winkel in die KZ eingewiesen worden waren, konnten nachgewiesen werden. Jüdische Frauen gab es in den KZ-Bordellen nicht.[4] 114 der in den Häftlingsbordellen prostituierten Frauen waren „Reichsdeutsche“. 46 der Frauen waren Polinnen, 6 Frauen kamen ihrem Namen nach vermutlich aus der Ukraine, aus Weiß- oder Zentralrussland. Eine Frau stammte aus den Niederlanden.[5] Das Durchschnittsalter der Frauen betrug bei Eintritt in das KZ-Bordell 22 Jahre. Der zeitliche Aufenthalt im Bordell variierte stark: manche Frauen waren nur 2 Tage im Bordell, manche 34 Monate – durchschnittlich betrug ihre Zeit im Bordell 10 Monate. Über ein Drittel der Frauen wurde in mehr als einem KZ-Bordell ausgebeutet. Obwohl ihnen versprochen worden war, dass sie nach einem halben Jahr „Dienst“ im KZ-Bordell aus dem KZ entlassen würden, hielt die SS diese Zusage nicht ein. Vor Kriegsende entlassen wurden nur 11 Frauen – aber nur, weil ihre reguläre Haftzeit im KZ beendet war.[6]

Die Verpflegungssituation der Frauen in den KZ-Bordellen war besser als die des durchschnittlichen KZ-Häftlings: teils erhielten die Frauen die doppelten Häftlingsrationen, teils die Verpflegung der SS. Dies hatte zum Ziel, sie für die Freier „ansehnlich“ zu halten. Zugang zum Lagerschwarzmarkt hatten sie wegen ihrer Isolation nicht – und auch in der Häftlingskantine konnten sie nicht einkaufen, denn das, was sie durch den „Bordelldienst“ verdienten, wurde ihnen nicht ausgezahlt. Sie waren angewiesen darauf, dass Häftlingsfreier ihnen „Geschenke“ mitbrachten, wenn sie etwas benötigten. Ihre Kleidung stammte aus ihrem persönlichen Besitz, aus der Lagerkleiderkammer oder war ein Geschenk der männlichen Häftlinge. Eine Kleiderordnung für die als „Sonderbau“ bezeichnete Bordellbaracke gab es nicht. Den Frauen in den KZ-Bordellen war es, anders als den anderen Häftlingen, aus ästhetischen Gründen erlaubt, sich die Haare wachsen zu lassen.

Die Frauen in den KZ-Bordellen waren äußerst isoliert. Sie durften sich außerhalb des Bordells nicht frei im Lager bewegen, zudem war der „Sonderbau“ mit vergitterten Fenstern und teilweise auch einem hohen Sichtschutz versehen. Soziale Kontakte gab es nur untereinander sowie zur SS und zu den männlichen KZ-Häftlingen, die sich als ihre Freier betätigten.

Der Tagesablauf im „Sonderbau“ war streng geregelt, es gab feste Zeiten für Wecken, Essen und Arbeiten. In Buchenwald z.B. sollten sich die Frauen nach Frühstück und Frühsport um ihre Wäsche kümmern (waschen, stopfen, nähen), aber auch Näharbeiten für die Lagerbekleidungskammer durchführen. Die Freier kamen erst abends. Im KZ Mittelbau-Dora hingegen hatten die Frauen 8-Stunden-Schichten (Tag und Nacht) abzuleisten.

Die Zeitzeugin W. beschreibt die Fließbandarbeit des Freierabfertigens wie folgt: „Wir mussten jetzt jeden Abend die Männer über uns rübersteigen lassen, innerhalb von zwei Stunden. Das hieß, die konnten rein, mussten ins Arztzimmer, sich ´ne Spritze abholen, konnten zu der Nummer, also dem Häftling, konnten ihre Sachen da verrichten. Rein, rauf, runter, raus, wieder zurück, kriegten sie nochmals eine Spritze. Der Häftling musste raus. Wir hatten ein Badezimmer mit soundsoviel WCs. Also an Sauberkeit hat es da nicht gefehlt. Und dann kam gleich der nächste wieder. Am laufenden Band. Und die hatten nicht länger wie eine Viertelstunde.“[7]

Die durchschnittliche Anzahl der Freier, die jede Frau pro Tag sexuell bedienen musste, beläuft sich auf ungefähr 9. Allein am 24. Oktober 1944 besuchten z.B. 76 männliche Häftlinge das KZ-Bordell in Dachau, so dass jede Frau zwischen 8 und 10 Freier bedienen musste.[8] Sonntags hatten die männlichen KZ-Häftlinge frei, der Bordellbetrieb stellte an diesem Tag für die Frauen also eine besondere Belastung dar, da überdurchschnittlich viele Männer die KZ-Bordelle aufsuchten.

Die Bordelle waren nicht nur im Lager selbst streng isoliert, sondern die Frauen wurden auch strengstens kontrolliert und überwacht. Die SS regelte sämtliche Vorgänge, wie z.B. das Einschließen im Schlafsaal oder das Zählen der täglichen Bordelleinnahmen. Ab November 1943 erfolgte diese Kontrolle in den KZ-Bordellen jedoch nicht mehr durch die SS-Führer, SS-Wachen und weibliche SS-Aufseherinnen. Sondern der SS-Gruppenführer und Generalleutnant der Waffen-SS Glücks vom SS-Wirtschafts- Verwaltungshauptamt (WVHA) setzte durch, dass ältere Bordellbetreiberinnen, die in den KZ inhaftiert waren, diese Aufseherinnentätigkeiten übernehmen sollten. Von ihnen erhoffte man sich einen reibungsloseren Ablauf des Bordellbetriebs, da diese darin ja erfahren waren. Auch wusste man, dass sie als Milieukundige erprobt darin waren, zusätzlichen Druck auf die Frauen auszuüben, damit diese ihre „Leistung“ brächten.

Ein Bordellbesuch kostete einen männlichen KZ-Häftling zwei Reichsmark. Die SS bekam davon 1,50 Reichsmark, die Aufsicht 5 Pfennig und die restlichen 45 Pfennig sollten an die prostituierte Frau gehen. Später betrug der Preis für einen Bordellbesuch nur noch eine Reichsmark, wobei 10 Pfennig an die Aufseherin („Puffmutter“, „Kassiererin“) und 90 an die prostituierte Frau gehen sollten. Jedoch zahlte die SS die Gelder nicht an die Frauen aus, sondern überwies diese auf ein Sonderkonto. Nach ihrem „Bordelldienst“ sollte das Geld angeblich an die Frauen ausgezahlt werden – dazu kam es aber scheinbar nie. Sämtliche ehemaligen Zwangsprostituierten aus den KZ-Bordellen betonen: „Geld haben wir nie gesehen.“[9]

Alles im Bordellbetrieb war also strengstens geregelt – dies galt auch für den eigentlichen Akt, den Bordellbesuch. Um diesen und um die Bewältigungsstrategien, die die in den KZ-Bordellen zwangsprostituierten Frauen benutzten, um den seriellen sexuellen Missbrauch psychisch zu überleben, soll es im nächsten Artikel dieser Reihe gehen.

(c) Anne S. Respondek


[1] Paul, Christa, Zwangsprostitution. Staatlich errichtete Bordelle im Nationalsozialismus, Berlin 1994, S. 45 f. 

[2] Ebd., S. 53f.

[3] Sommer, Robert, Das KZ-Bordell. Sexuelle Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern, Paderborn 2009, S. 210

[4] Ebd., S. 236

[5] Ebd. S. 224 f.

[6] Ebd. S. 225, S. 236

[7] Mieder, Rosemarie / Schwarz, Geslinde: Alles für zwei Mark. Das Häftlingsbordell von buchenwald. MDR Radiosendung 2002. hier zitiert nach Sommer, KZ-Bordell, S. 211 

[8] Sommer, KZ-Bordell, S. 212

[9] Aussage Büttig (Frau X), AGN, Transkription, S. 19, hier zitiert nach Sommer, KZ-Bordell, S. 213 

„Asoziale“ Frauen als Zwangsprostituierte für das Dritte Reich

Teil 3 der Artikelserie über KZ-Bordelle & das Dritte Reich als „größten Bordellbetreiber Europas“

Autorin: Anne S. Respondek

(Dieser Artikel ist im April 2024 in der Graswurzelrevolution erschienen.)

In den nationalsozialistischen Konzentrationslagern wurden ab 1942 Bordelle gebaut, in denen männliche KZ-Häftlinge sich als Freier betätigen konnten. Diese KZ-Bordelle existierten in Mauthausen und Gusen, Flossenbürg, Buchenwald, Auschwitz, Dachau, Neuengamme, Sachenhausen und Mittelbau-Dora. Die Frauen, die in diesen KZ-Bordellen anschaffen mussten, hatten fast alle eines gemeinsam: den schwarzen Winkel, der auf den Haftgrund der „Asozialität“ hinwies.

Aber wer oder was galt im Nationalsozialismus als „asozial“?

Dieser schwammige Begriff war auch im Dritten Reich keineswegs fest definiert. Der Rassenhygieniker Fred Dubitscher schrieb dazu in seiner „erb- und sozialbiologischen Untersuchung“: „(…) die Beschäftigung mit den Fragen der Asozialität verlangt in gleicher Weise kriminalbiologisches, sozialbiologisches, wirtschaftspolitisches, ärztlich-psychatrisches und erbbiologisches Denken und Urteilen. (…) Der Begriff ´asozial´ kennzeichnet ja doch eine seelisch-soziale Haltung in und zu der Gemeinschaft, die sich von der durchschnittlichen Haltung als abwegig im unerwünschten Sinn unterscheidet. (…) Die soziale Wertbeurteilung (also auch ´asozial´) ist ja doch primär ausschließlich Sache des Volksempfindens.“[1] Allgemein, so führte er aus, würden zur Gruppe der „Asozialen“ folgende Personen zählen: „Kriminelle, Verwahrloste, Arbeitsscheue, Bettler, Prostituierte, Rauschmittelsüchtige, Trunksüchtige, Fürsorgezöglinge, Vagabunden u. a.“[2] All diesen Menschen sei eines gemeinsam: „es handelt sich um Verhaltensweisen in Form von Handlungen oder Unterlassungen, die von der sozialen Norm abweichen und die dadurch Leiden oder Schäden verursachen.“[3]

Unterschieden wurde zwischen Menschen, die als „verwahrlost“ galten, und deren „asoziales“ Verhalten man ungünstigen äußeren Umständen zuschrieb und Menschen, deren unerwünschtes Verhalten man als ererbt auffasste. „Asoziale“ galten als Gefahr für das deutsche Volk, für den „gesunden Volkskörper“, und zwar auf biologischer, sozialer und finanzieller Ebene. In biologischer Hinsicht wurde ihnen unterstellt, sie würden ihre „Asozialität“ weitervererben und zudem durch „frühe Geschlechtsreife“ und „Triebhaftigkeit“ sehr viele (ebenfalls „asoziale“) Kinder bekommen. So würden sie das Erbgut des deutschen Volkes schädigen und „herabziehen“. Ihnen wurde vorgeworfen, durch ihr „gemeinschaftsfremdes“ Verhalten das Volk in sozialer Hinsicht zu schädigen und zudem enorme Kosten zu verursachen, z.B. durch Heim- und Gefängnisaufenthalte oder indem sie der Fürsorge zur Last fielen. „Asoziale“ sollten über Erziehungs- und Bestrafungsmaßnahmen weggesperrt und mithilfe dieser „unschädlich“ gemacht werden – aber das reichte dem NS-Staat nicht. Denn im Dritten Reich galten nicht nur körperliche und seelische Beeinträchtigungen und Krankheiten als unerwünscht. Der Begriff des „moralischen Schwachsinns“ sollte alle Personengruppen umfassen, die sich kriminell, „gemeinschaftsfremd“, sexuell „triebhaft“ oder unangepasst verhielten – und da „Asozialität“ als erblich galt, und damit auch der „moralische Schwachsinn“, wurden viele dieser so kategorisierten Personen gegen ihren Willen unfruchtbar gemacht.

„Asozial“ zu sein wurde somit verbiologisiert. Es wurde nicht verstanden als Ausdruck einer finanziellen und sozialen Armut, sondern als Charakter- und Erbgutdefizit. „Asozial“ war immer auch eine Fremdzuschreibung. Niemand aus der – sehr homogenen – Gruppe der als „asozial“ klassifizierten Personen bezeichnete sich selbst so.

Der Kampf gegen „Asozialität“ war immer auch ein Kampf gegen arme und prekär lebende Menschen. Die Breite der gegen sie getroffenen Maßnahmen war beachtlich. In der Aktion „Arbeitsscheu Reich“ wurden 1938 über 10.000 Männer, denen „Arbeitsscheu“ vorgeworfen wurde, in KZ eingeliefert. Damit änderte sich in den KZ die Zusammensetzung der Häftlingsgruppe, „Asoziale“ stellten ab sofort die größte Häftlingskategorie. Die Verhaftung der „Arbeitsscheuen“ war vielfach von den Sozial- und Fürsorgebehörden veranlasst worden.

Die gegen „Asoziale“ getroffenen Maßnahmen waren vielfältig und zeugten von enormer Härte: Bettlerrazzien, Unterbringungen in Arbeitshäusern, Entmündigungen von Personen durch Fürsorgeämter, Unterbringungen in geschlossenen Anstalten, Einweisung in spezielle, KZ-ähnliche Lager für Fürsorgeempfänger, außerdem Schutzhaft, Sicherungsverwahrung und Vorbeugehaft, also die Inhaftnahme von Personen, bevor diese überhaupt (erneut) strafrechtlich relevant in Erscheinung traten. Konkret zur Auslöschung der unerwünschten Personengruppe sollten die Zwangssterilisierungen und die Tötungen in den KZ beitragen – denn eine Besserung, Erziehung oder Versorgung von „Asozialen“ war nie das Ziel des Nationalsozialismus gewesen. Die subproletarische Klasse, die unerwünschte prekäre Schicht, sollte komplett ausgelöscht werden.

Im Laufe des Krieges fand ein bemerkenswerter Wandel in der „Asozialen“politik statt.

Hatten zunächst männliche Bettler, „Landstreicher“, Alkoholiker und „Arbeitsverweigerer“ im Fokus gestanden, konzentrierte sich die Verfolgung im Laufe des Dritten Reiches mehr und mehr auf „asoziale Sippen“ und auf sexuell freizügige Frauen – es fand sozusagen eine Feminisierung und Sexualisierung der „Asozialen“politik statt. Denn wer oder was genau „asozial“ war – das hatte keinen Endpunkt. Der Gummibegriff ließ sich endlos dehnen, immer neu deuten und erfasste somit ständig neue Betroffenengruppen. Frauen, die sich in den Augen der Behörden „herumtrieben“, die „sexuell hemmungslos“ waren oder „sittlich tiefstehend“, wurden nun ebenfalls erfasst und durch Polizei, Gesundheitsamt und Fürsorge verfolgt. Bereits die Unterstellung sexueller Unangepasstheit reichte aus, um in den Fokus der Ämter zu geraten. Jede sexuelle Freizügigkeit, so unterstellte man den Frauen, würde unweigerlich zu einem bestimmten Zeitpunkt dazu führen, dass die Frau sich prostituiere. Prostituierte waren sowieso als „Asoziale“ kategorisiert – aber nun reichte es bereits aus, unbezahlt sexuelle Kontakte zu haben. Wer in Verdacht stand, sich heimlich zu prostituieren, oder wer wechselnde Männerbekanntschaften pflegte, wer in bestimmten Lokalen schlechten Rufs allein oder mit fremden Männern verkehrte, wer ein ungeregeltes Einkommen hatte, der konnte von den Behörden als „hwG“ gelistet werden – als Person mit „häufig wechselndem Geschlechtsverkehr“. Dies galt als eine Art Vorstufe zur Prostitution und rechtfertigte bereits Maßnahmen wie Vorbeugehaft.

Die meisten der Frauen, die in den KZ-Bordellen gezwungen wurden, sich von männlichen KZ-Häftlingen sexuell missbrauchen zu lassen, waren wegen „Asozialität“ in die KZ eingeliefert worden. Ein Großteil der Frauen aus den KZ-Bordellen war also wegen ihrer Armut und ihres (vermeintlichen) Sexualverhaltens verfolgt und im KZ inhaftiert worden.

In der Häftlingsgemeinschaft standen diese „asozialen“ Frauen ganz weit unten.

Im KZ trafen verschiedene Nationalitäten, soziale Klassen und kulturelle Hintergründe aufeinander. Geschickt verstand es die NS-Führung, in den KZ verschiedene Personengruppen gegeneinander auszuspielen und so eine Solidarisierung untereinander sowie das Entstehen einer sich als „Häftlingsgemeinschaft“ verstehenden Gruppe zu verhindern. Dies gelang u.a. durch die rassistische Hierarchisierung (deutsche Häftlinge standen ganz oben in der Häftlingsordnung, ganz unten standen Juden, Sinti, Roma und Angehörige der Sowjetunion). Die Übertragung von Verwaltungsaufgaben an bestimmte Häftlinge im Austausch für Vorteile trug zur Spaltung der Häftlingsgruppen ebenso bei wie das Winkelsystem. Vor allem Grünwinklige („Kriminelle“) wurden von den anderen Häftlingen verachtet, aber auch Menschen mit schwarzen Winkeln, „Asoziale“ galten als Bodensatz der KZ-Inhaftierten. Die betroffenen Frauen waren damit doppelt stigmatisiert, als Frau und als „Gemeinschaftsfremde“ – und diese Diskriminierung ging eben nicht nur von der SS, sondern auch von den Mithäftlingen aus, denn auch in deren Sozialordnung teilte man Inhaftierte in „wertvolle“ und „minderwertige“ Mithäftlinge ein. Vor allem den schwarzwinkligen Frauen wurde vorgeworfen, ihre Inhaftierung durch ihre „moralischen Verfehlungen“ ja selbst verschuldet zu haben. Ihre Zugehörigkeit zu einer sozialen Randgruppe wurde also im KZ fortgeführt – und auch nach dem Ende des Nationalsozialismus distanzierten sich Gemeinschaften ehemaliger Häftlinge oft genug von den „asozialen“ ehemaligen Mithäftlingen.

Zusammenfassend lässt sich also sagen: die Frauen, die in den KZ-Bordellen zum anschaffen gezwungen wurden, waren Frauen, die wegen ihrer Armut und wegen (unterstellter) sexueller Unangepasstheit und Prostitution verfolgt und in KZ inhaftiert worden waren – und auch dort standen sie in der Sozialordnung ganz unten, wurden von SS und Mithäftlingen ausgegrenzt, stigmatisiert und diskriminiert.

Wie gelangten diese Frauen nun aber aus den KZ in die damals als „Sonderbauten“ bezeichneten KZ-Bordelle? Darum soll es in der nächste Folge dieser Reihe gehen.

(c) Anne S. Respondek


[1] Dubitscher, Fred, Erb- und sozialbiologische Untersuchungen, Leipzig 1942, S. 1 

[2] Ebd. S. 2

[3] Ebd.